Ich ging ab Makarora los (Karte).
Das ist ein Mini-Kaff zwischen Haast und Wanaka. Jedenfalls besteht Makarora
nur aus dem DoC-Visitors Center und einem Campingplatz.
Die ersten zwei Stunden führten mich dann tiefer und tiefer in das Wilkin River Valley hinein. Irgendwann begann der Track und führte zum Teil halsbrecherisch rechts des mäandernden Wilkin Rivers nach Westen. Das Tal wand sich immer weiter in die alpinen Gebiete des Mt. Aspiring National Parks hinein. Das Wilkin River Valley Und je weiter ich meinen Weg über den zum Teil chaotisch auf und ab kletternden Track bahnte, desto unwirklicher kam es mir vor, daß immer wieder Kuhscheisse auf den Pfad herumlag. Und den ganzen Weg bis hinauf zu Kerin Forks Hut, kam ich auch immer wieder über Grass Flats auf denen sich träge Rindviecher in der Sonne lümmelten. Am Ende konnte ich es kaum noch glauben: wie um alles in der Welt kriegen die Farmer ihre Tiere hier hinauf, oder besser, wie bekommen sie die Tiere aus diesen abgelegenen Teilen des Tales wieder heraus? Und nicht selten wenn ich wieder total verdutzt vor einer weiteren Horde von Rindern stand, kuckten die Tiere ebenso perplex zurück: was um alles in der Welt mach denn einer dieser Zweibeiner so tief in unserem Tal?
Nach sechs Stunden erreichte ich die Kerin Forks Hut. Ich
mußte den Wilkin River durchqueren. Der hatte so einen Dampf drauf, daß
ich diesmal meine Schuhe anbehielt. Es hätte mich fast geschmissen - mitsamt
meinem Fotozeugs vor dem Bauch. Mit Adrenalinspiegel auf 100% rettete
ich mich irgendwie ohne Zwangsbad auf die andere Flußseite.
Auf halber Strecke kamen mir drei Personen entgegen: zwei
Männer und eine Frau - alle so um die 30. Der eine Typ trug Longjohns
und führte die kleine Gruppe an. Die Frau hatte - unglaublich aber war
- eine schwarze Steghose an und trug schwarze, absolut edel anmutende
Lederhandschuhe. Sie machte einen sehr gestreßten Eindruck. Der dritte
Typ hatte ein T-Shirt mit einem "University of So-und-so/USA" Aufdruck
und einer schwarzen Radlerhose an. Als mich die drei erreichten, sah mich
die gestreßte Frau an und fragte amerikanisch gepreßt: "Tell me, how's
the track ahead?"
Nach drei Stunden erreichte ich die Siberia Flats: eine weitläufige Grasebene, die von einer dramatischsten alpinen Kulisse eingefaßt ist. Mitten drin säuselt der Siberia River in Richtung Wilkin River Valley hinunter. Und - keine Kühe. Dieses Tal ist dann doch zu gut abgeschirmt.
Von der Siberia Hut hatte man einen fantastischen Ausblick auf das Upper Siberia Valley, wohin mich der Weg am dritten Tag führen würde. In der Hütte traf ich die beiden erwähnten Engländerinnen (hatten sich - Frevel! - mit einer Cesna einfliegen lassen). Und später gesellte sich noch ein älterer Australier zu uns, der über den Gillespie Pass gekommen war.
Am nächsten Tag war ich vor Sonnenaufgang auf den Beinen.
Es war schweinekalt in der Hütte und bewölkt draußen. Die Berggipfel steckten
in einer massiven Wolkendecke, die mir nicht gefiel, denn dort mußte ich
hinauf. Ich dampfte mir mein Müsli rein und brach dann mit dem ersten
Licht auf: vor mir lag ein langer, anstrengender Tag über den Gillespie
Pass hinüber ins Young Valley. Zunächst lief ich eine Stunde durch das
frostige Gras der Siberia Flats, bevor der Weg an einem Schild mit der
Aufschrift "Gillespie Pass" in den Beechforest eintauchte.
Der Weg führte weiter den Wolken entgegen und ich merkte
langsam, daß meine Kraft nachließ. Die ganze Diplomsitzerei hängt mir
doch arg in den Knochen. Als ich in den Nebel eitauchte begann dann mein
rechtes Knie zu jaulen und als ich dann ersten Schnee erreichte, machte
ich mir ernsthaft Sorgen, denn meine Kreuzbänder in eben diesem Knie schienen
mit der Belastung nicht klarzukommen. Im Nebel war es schwer den Weg auszumachen.
Die orangen Stangen, die den steil ansteigenden Track markierten, waren
schwer zu sehen, denn die Sicht war oft weniger als 30 Meter. Der dichter
werdende Schnee machte die Sache nicht leichter, jedoch halfen mir die
wenigen Spuren von Stefan und dem Australier weiter. Ich fühlt mich matt
und kaputt, als ich die Sonne hinter dem Dunst sehen konnte. Würde mich
der Anstieg auf den Pass über die Wolken bringen? Wann war ich überhaupt
endlich oben, verdammt nochmal? Nicht das mir gleich irgendwas im Bein
reißt und ich ein Riesenproblem habe...
Der Weg folgte nun 20 Minuten dem Passgrat, bevor es bergab
ging. Und wie es bergab ging! Ich bin selten in meinem Leben einen so
steilen Hang hinabgekraxelt. Die Steigung schätze ich auf mindestens 80°.
Und dementsprechend ging der Abstieg auf mein armes Knie. Der Track war
zum Teil weggebrochen und es artete in Freestyle-Klettern aus, ohne Seil,
dafür mit schneidendem Schnee-Gras als Halt. Ich kraxelte von einer Trackmarkierung
zur nächsten; nicht selten war die nächste Stange nur vier oder fünf Meter
von mir entfernt - in der Waagerechten -, dafür aber 50 Meter in der Senkrechten,
also fast direkt unter meinen Füßen! Ich übertreibe hier nicht. Ich glaube,
wenn der Hang nicht mir Gras und Bergsträuchern bewachsen gewesen wäre,
hätte ich doch arge Bammel bekommen. So konnte ich mich darauf konzentrieren
mein rechtes Knie so wenig wie möglich zu belasten. Winzig, am Rande eines Steilhanges ins Lower Young Valley - die Young Hut Nach fast 2 Stunden erreichte ich ziemlich fertig den Grund des Tales. Noch zwanzig Minuten brachte ich humpelnd hinter mich, bevor ich die Young Hut vor mir sah. Am Rand eines Steilhang war die Hütte mittig in das Tal gesetzt worden. Von der Hütte hatte man in jede Richtung fast unwirkliche Panorama-Ausblicke auf das schroffe, granitene Upper Young Valley und das waldige schmale Lower Young Valley, durch das mich der letzte Tag führen würde. Vor allen Dingen der Blick durch das Fenster am Eßtisch war die ganzen Strapazen wert. Ich war ziemlich alle und packte mich, nachdem ich den Ofen in Gang gebracht hatte, auf die Bank und blickte bis es dunkel wurde aus dem Eßtischfenster, während die Keas weit über der Hütte krakelten.
Nachts um halb fünf wurde ich wach. Ich griff nach meiner Kopflampe und sah meinen Atem in dichten Wolken durch den Lichtstrahl tanzen - es war eisigkalt in der Hütte. Zitternd kletterte ich in meine Hüttenklamotten und brachte den Ofen in Gang. Das Thermometer vor der Hütte zeigte -5°Celsius. In der Hütte war es nicht wärmer. Die Kälte kam nicht von ungefähr - es hatte aufgeklart und über der Hütte funkelten Millionen von Sternen. Natürlich schrien auch irgendwo Keas...
Bei Sonnenaufgang ging ich an den letzten Teil des Tracks. Mein Knie war wieder einigermaßen. Nur ein leichter Druck war zu verspüren. Ich kletterte durch dichten Beech Forest zum Grund der Lower Young Valleys, wo der Track dann dem Young River folgte, immer durch den Wald hindurch. Nach und nach traf ich auf alte Bekannte, wie Tomtits und Riflemen. Einmal hörte ich sogar das Kanariengesinge des Mohua oder Yellowhead. Als auch wieder Fantails zu hören waren, hatte sich das Young Valley bereits erweitert und ich war nicht mehr weit vom Makarora River entfernt. Nach insgesamt 6 Stunden war ich aus dem Tal heraus, kreuzte den flachen Makarora River zum zweiten Mal und fand mich bald auf dem Haast Highway. Ich hatte noch sechs Kilometer bis zu meinem Auto vor mir. Ich legte den Rucksack ab und marschierte los. Erst die letzten drei Kilometer hatte mein ausgestreckter Daumen erfolg und ich durfte bei einer Framersfrau hinten auf den Pickup steigen. Die Hunde waren sichlicht verwirrt einen Zweibeiner zwischen sich zu finden. Um drei Uhr Nachmittags war ich wieder an der Makarora Station, bei meinem Toyota. Mein erster Track 2000 war gegessen - mein Knie hat`s gefreut. |