Da meine Pinguine sich geflissentlich zum Beginn der
Feldabeit von ihrer Kolonie fernhielten, wurde alles um eine Woche verschoben.
Die Zeit nutzte ich zu meinem wohl vorerst letzten "zivilen"
Trip ins neuseeländische Hinterland. Es ging ins Fiordland an der
Südwestküste der Südinsel. Durchweg alpines Terrain mit
spektakulären gletschergeformten Tälern und Schluchten - und
der höchsten Niederschlagsmenge von ganz Neuseeland. Das Wetter war fiordländisch: es regnete. Doch da es bis von der Divide bis zur ersten Hütte, der Howden Hut, lediglich 1 1/2 Stunden Marsch waren, ließen wir uns nicht abschrecken und marschierten los. Sofort tauchten wir in einen Märchenwald ein: alles war grün mit Moos überwachsen, fahlgrüne Flechten flatterten im Wind von knorrigen Ästen herab. Weit unter uns setzte nach ein paar Minuten Marsch das Donnern des Hollyford Rivers ein, der aus unzähligen Gletschern des Fiordlands gespeist wird. Es ging seicht aber stetig bergauf, so daß wir rasch an Höhe gewannen. Bald waren wir in den Wolken. Dichte Nebelschwaden zogen durch den Wald. Die Luft schine aus winzigen Regentropfen zu bestehen, die durch jede Faser der Kleidung drangen.
Der Wald wirkte knorrig und bisweilen bizarr. Ich hatte die ganze Zeit einen Begriff im Kopf: "Mirkwood", der Wald aus Tolkien's "Hobbit", durch den der Hobbit mit seinen Begleitern den 14 Zwergen reisen mußte; der Wald mit den Waldelfen, die die Gruppe gefangen nahmen. Auf der anderen Seite war dann in diesem Wald, durch den ich gerade schritt zu viel Licht, denn difus breitete sich das Tageslicht im grau des Nebels zwischen den Bäumen aus, also doch nicht ganz genau der dunkle "Mirkwood" (und Riesenspinnen konnte ich mir hier im Fiordland außerdem wirklich nicht vorstellen)...
Nach etwa einer Stunde erreichten Valeria und ich
den Abzweig zum Key Summit, einem "Mini-Gipfel" von etwas über
900 Metern, von dem man aus die drei großen Flußsysteme des
Fiordlandes überblicken kannt: den Hollyford River im Norden, den
Eglington River im Südwesten und den Greenstone River im Südosten.
Aber nicht an einem Tag wie heute; Nebel und Regen machen Panoramen nicht
gerade zu einer Augenweide - wir liefen weiter in Richtung Howden Hut,
die wir eine viertel Stunde später erreichten. Und tatsächlich erstrahlte der nächste Tag mit blauem Himmel und Sonnenschein. Während im Greenstone Valley noch der Nebel zum Lake Howden hinaufwaberte, machten wir uns früh von der Hütte auf. Wir hatten beschlossen bis Mittags an der McKenzie Hut zu sein und dann zu entscheiden, ob wir noch am selben Tag über den Harris Saddle bis zu den Routeburn Falls gehen würden - das wäre dann ein etwa 8 Stunden Tag. Valeria lief voraus, während ich die unwirtliche Howden Hut noch aufräumte. Gegen zehn war auch ich auf dem Track. Die Sonne schillerte durch die hohen Beechtrees und Vogel gesang erfüllte den Wald. Der Routeburn Track ist ein Higway. Es gibt so gut wie keine Unebenheiten, man kann fast die ganze Zeit in die Luft starren, ohne sich Gedanken machen zu müssen wohin man tritt. Ein Traum für Vogelgucker: Riflemen twieteten, Bellbirds jodelten, Warblers warbelten, Tuis brabbelten, Tomtits...äh... titteten, Fantails quiekten und schlugen ihre Salti. Etwas befremdend in einem Regenwald ist allerdings immer wieder das aufgeregte Gekeife von erschreckten Amseln, die ich persönlich eher mir Parkanlagen im deutschen Flachland in Verbindung bringe. Irgendwann meckerten ein paar yellow-crowned Parakeets hoch oben im Blätterwald der Bäume. Und was für ein Wald das war: Die Bäume wuchsen ins unendliche, ihre Äste schienen sich mit denen des Nachbarbaumes zu verknoten. Die meisten dieser dicken Seitentriebe waren mit einem dichten Moosepolster ummantelt und hätten in jeder Perwollwerbung ihren Platz finden können. Der Boden war, mal abgesehen vom schiefergrauen Schotter des Tracks grün. Ein grünes flauschiges Moosbett, das feucht in der Sonne glitzerte und einem förmlich zu zurufen schien: "Leg dich auf mich, du wirst zwar klitschnaß, aber das ist es wert!" Ich tat's aber dann doch nicht. Nach etwa anderthalb Stunden vernahm ich ein gewaltiges
Donnern. Ein stetiges Donnern. Ich ahnte was do kommen mußte und
sah es im nächsten Moment in einer Lücke im Walddach: die Erlington
Falls. Aus einem schmalen Spalt (der wahrscheinlich an die 15 Meter breit
sein muß) schoß eine gewaltige weiße Fahne schäumenden
Wassers und verschwand aus meinem Blickfeld hinter den Baum wipfeln. Dieser
Wasserfall war hoch, daß war man klar! Ich lief weiter, während
das Dröhnen der Wassermassen immer lauter wurde. Und schlißlich
stand ich vor den Fällen: 80 Meter über mir ergoßen sich
Unmengen aus dem grauen Fels, knallten nicht weit von mit auf die Granitwand
und sammelten sich in einem schäumenden Becken. Der Wind trieb mir
Gishct um die Ohren, so daß ich binnen Sekunden wieder pladdernaß
war - und das wo gerade meine feuchten Klamotten von der Sonne getrocknet
worden waren... Das war mir sowas von egal! Ich war total hin und weg
und konnte immer nur "Wow!" rufen, während ich mir meinen
Weg über die Felsen am Grunde des Wasserfalls bahnte.
Die alpine Kulisse fegte mich, noch aufgekratzt von
dem Wasserfall, fast aus den Socken. Erst jetzt fiel mir auf, daß
ich obe´wohl schon anderthal Stunden unterwegs meinen Rucksack kaum
spürte - normalerweise fangen nach einer Stunde meine Schultern an
zu singen. Nicht so hier: ob es war, weil ich mir die Lebensmittel mit
Valeria teilte oder einfach die Begeisterung war wieder "draußen"
zu sein... ich weiß es nicht.
Etwas über zwei Stunden nachdem ich die Howden Hut verlassen hatte, sah ich Valeria vor mir auf dem Track und kurz vor 12 Uhr mittags hatten wir die McKenzie Hut erreicht. Die Hütte liegt direkt am Lake McKenzie, einem Moränensee, der von den Gletschern des Emily Peaks gespeist wird und die meiste Zeit des Tages im Schatten der Berge liegt. Ein Teil des Sees war mit einer dünnen Eisschicht überzogen - eine Erinnerung, daß es Winter war. Das Wetter wollte einem etwas anderes weismachen: es war ziemlich warm. Valeria und ich beratschlagten, sollten wir es versuchen noch bis zu den Routeburn Falls zu laufen und die nächste in der Hütte dort verbringen? Ob es gehen würde, den Harris Saddle ohne Eisaxt und Steigeisen zu queren? Oder würde dort zuviel Schnee liegen? Das
Wetter war so aufmunternd und es war nich relativ früh, also entschlossden
wir uns es mal zu versuchen. Also gingen wir los. Dummerweise war der
Lake McKenzie ein wenig über die Ufer getreten und hatte dabei auch
einen Teil des Routeburn Tracks verschluckt. Wir mußte also gut
fünfzig Meter durch (so schien es) Wadentiefes Wasser. Tapfer stiegen
wir aus unseren warmen Stiefeln und stapften in das glasklare Wasser. Nachdem
wir dieses Hindernis überwunden hatten stieg der Track steil im ZickZack
am Berg hinauf und passierte bald die Baumgrenze. Der Blick ins Tal zurück,
über den Lake McKenzie hinweg war schon wieder ein Traum. Steil und
bizarr erhob sich der Emily Peak im Nordosten am Ende des Gletsschertales;
eine fast unwirkliche Eishaube wölbte sich über den Gipfen des
Berges in das Tal hinein; unzählige kleine Wasserläufe vereinigte
sich am Fuße des Tales und floßen als Rinnsale in den Lake
McKenzie, in desen Mitte eine dichte Waldinsel ruhte. Weit unten zog ein
paar Paradies Enten ihre Bahnen auf dem dunklen Gewässer und am Südende
des Sees, am Rand des Waldes war die McKenzie Hut zu sehen, die noch immer
in der Mittagssonne lag. Wenn es nicht so richtig laufen würde, könnten
wir uns auf eine Nacht in dieser Hütte freuen. Und so sollte es dann
auch kommen...
Obwohl wir den gesamten Routeburn Track bis zum Harris
Saddle oberhalb der Baumgrenze aus Streifen erkennen konnten, entschlossen
wir uns zurück zu gehen. Denn wir wußten nicht, was uns auf
der anderen Seite des Harris Saddles erwartete und wenn wir erst bis dorthin
gelaufen wären, um dort festzustellen, daß wir überfrorene
Schneefelder vor uns habe, wäre es zu spät umzukehren. Also
blieben wir einige Zeit auf dem Saum, blickten auf das Panorama und ließen
uns von der Sonne wärmen. Doch dann machten wir uns auf den Rückweg.
Ich lief voraus und als ich meinen Mut zusammennahm um mich ohne Jammern
der Seequerung zu stellen, entdeckte ich ein Schild mit der Aufschrift
"Flood Route". Ich konnte es nicht fassen! Es gab tatsächlich
eine Umgehungsroute, so daß man bei Hochwasser nicht durch den Eissee
waten muß! Und auf der anderen Seite gab es keinen Hinweis... Ich
kraxelte zehn Minuten über diesen etwas wilden Umweg und kam schließlich
trockenen Fußes an der McKenzie Hut an. Valeria entschied sich anders.
Tapfer stieg sie ein zweites Mal aus den Stiefeln und watete durch das
eisige Wasser. Doch das hatte seinen Preis, denn mittlwerweile war die
Sonne hinter den Bergen verschwunden. Und deswegen war es auch merklich
kühler. Mit nahezu schmerzverzerrtem Gesicht stapfte Valeria heran
und taumelte stöhnend in die Hütte. Ihr sollte den ganzen Abend
nicht mehr richtig warm werden. Auch der nächste Tag war wieder wolkenlos und
wir entschlossen uns direkt in einem durch bis zur Divide zurück
zu laufen - nur keine weitere Nacht in der usseligen Howden Hut. Obwohl
der Track der gleiche war, kann ich nicht sagen, daß ich merkte,
daß ich hier am Vortag schon langgstiefelt war: ich war ein weiteres
mal begeistert vob der alpinen Szenerie, den unzähligen Bächen,
die in Kaskaden über die Felsen sprangen oder unter den Farnteppichen
hervorrauschten. Die Erlington Falls waren aber erheblich zahmer als am
Vortag. Die Gischt war so harmlos, daß ich es sogar wagte meine
Fotoausrüstung aufzubauen und zu fotografieren. Die Howden Hut würdigten
wir keines Blickes mehr und waren nach vier Stunden Marsch bereits wieder
an der Divide und am Wagen; in diesen vier Stunden gingen wir eine Distanz,
die man auf anderen Tracks in zwei Tagen laufen würde. Der Routeburn
ist halt ein echter "Highway". Aber unglaublich schön.
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