Da meine Pinguine sich geflissentlich zum Beginn der Feldabeit von ihrer Kolonie fernhielten, wurde alles um eine Woche verschoben. Die Zeit nutzte ich zu meinem wohl vorerst letzten "zivilen" Trip ins neuseeländische Hinterland. Es ging ins Fiordland an der Südwestküste der Südinsel. Durchweg alpines Terrain mit spektakulären gletschergeformten Tälern und Schluchten - und der höchsten Niederschlagsmenge von ganz Neuseeland.
Ende Juni ist absolut tote Hose im Fiordland, was Touristen angeht (wenn man mal vom ständig übervölkerten Milfod Sound absieht). Und so kam es, daß ich mich zusammen mit Valeria entschloß, den Routburn Track, einem der spektakulärsten und deswegen auch populärsten Tracks von Neuseeland, mal etwas näher unter die Lupe zu nehmen. Wir wollten den Track, der traditionell von Glenorchy begonnen wird. Im Sommer laufen hier mehrere tausend Tramper und Touristen, queren die Humboldt Mountains, klettern über den Harris Saddle und laufen oberhalb der Baumgrenze, das obere Hollyford Valley entlang, um schließlich an der Straße von Te Anau zum Milford Sound - an der Divide - auszukommen. Schon alleine um "cooler" zu sein, gingen wir von der Divide los.

Das Wetter war fiordländisch: es regnete. Doch da es bis von der Divide bis zur ersten Hütte, der Howden Hut, lediglich 1 1/2 Stunden Marsch waren, ließen wir uns nicht abschrecken und marschierten los. Sofort tauchten wir in einen Märchenwald ein: alles war grün mit Moos überwachsen, fahlgrüne Flechten flatterten im Wind von knorrigen Ästen herab. Weit unter uns setzte nach ein paar Minuten Marsch das Donnern des Hollyford Rivers ein, der aus unzähligen Gletschern des Fiordlands gespeist wird. Es ging seicht aber stetig bergauf, so daß wir rasch an Höhe gewannen. Bald waren wir in den Wolken. Dichte Nebelschwaden zogen durch den Wald. Die Luft schine aus winzigen Regentropfen zu bestehen, die durch jede Faser der Kleidung drangen.


Nebelschwaden und ein feuchter Wanderer - auf dem Weg zur Howden Hut.

Der Wald wirkte knorrig und bisweilen bizarr. Ich hatte die ganze Zeit einen Begriff im Kopf: "Mirkwood", der Wald aus Tolkien's "Hobbit", durch den der Hobbit mit seinen Begleitern den 14 Zwergen reisen mußte; der Wald mit den Waldelfen, die die Gruppe gefangen nahmen. Auf der anderen Seite war dann in diesem Wald, durch den ich gerade schritt zu viel Licht, denn difus breitete sich das Tageslicht im grau des Nebels zwischen den Bäumen aus, also doch nicht ganz genau der dunkle "Mirkwood" (und Riesenspinnen konnte ich mir hier im Fiordland außerdem wirklich nicht vorstellen)...


Der "Mirkwood" im Fiordland - und dann wieder doch nicht...

Nach etwa einer Stunde erreichten Valeria und ich den Abzweig zum Key Summit, einem "Mini-Gipfel" von etwas über 900 Metern, von dem man aus die drei großen Flußsysteme des Fiordlandes überblicken kannt: den Hollyford River im Norden, den Eglington River im Südwesten und den Greenstone River im Südosten. Aber nicht an einem Tag wie heute; Nebel und Regen machen Panoramen nicht gerade zu einer Augenweide - wir liefen weiter in Richtung Howden Hut, die wir eine viertel Stunde später erreichten.
Die Hütte erschien riesig, mit den Hutwardens Quarters, einem ganzen Komplex mit Toiletten und Waschmöglichkeiten, Gaskochern und Kohleschuppen. Der Routeburn ist halt ein Great Walk, den man im Sommer buchen muß, da muß man den Leuten auch ein wenig mehr Luxus als gewohnt bieten. Was allerdings die Offseason im Winter angeht, wenn also weniger bis keine Leute über den Track laufen, da sieht die ganze Geschichte ganz anders aus. Das erlebten wir jetzt: die Klos waren alle verriegelt, das Gas abgestellt, wie im übrigen auch die Wasserversorgung der Hütte, es gab keine Kohlen im Schuppen und Holz auch nicht - jedenfalls kein trockenes, brennbares. Der Ofen war mehr oder weniger Schrott: die Ofenklappe abgebrochen und miserable wieder dran geflickt. Das Dach um das Ofenrohr war leck und dementsprechend war der Ofen geflutet: im Aschefänger schwamm alles in einem schwarz-grauen Schlammwasser. Da wir die nassen Klamotten noch nicht ausgezgen hatten, gingen wir erstmal auf Holzsuche im Regen. Nach fast zwei Stunden hatten wir dann etliches Wasser durchtränktes Holz zur Hütte geschleppt und klein gehackt. Doch so richtig brennen sollte das alles nicht.

Es wurde ein usseliger Abend, Wasser mußte wir uns am See besorgen, die Hütte wurde nicht warm. Mit abenteurlichen Konstruktionen drapierten wir unsere nassen Klamotten um den Ofen um diese wenigstens ansatzweise zu trocknen. Irgendwann ging ich vor die Hütte und erblickte... Millionen von Sternen über mir! Die Wolken waren fast wie weggeblasen. Wir konnten und auf den nächsten Tag freuen!

Und tatsächlich erstrahlte der nächste Tag mit blauem Himmel und Sonnenschein. Während im Greenstone Valley noch der Nebel zum Lake Howden hinaufwaberte, machten wir uns früh von der Hütte auf. Wir hatten beschlossen bis Mittags an der McKenzie Hut zu sein und dann zu entscheiden, ob wir noch am selben Tag über den Harris Saddle bis zu den Routeburn Falls gehen würden - das wäre dann ein etwa 8 Stunden Tag. Valeria lief voraus, während ich die unwirtliche Howden Hut noch aufräumte. Gegen zehn war auch ich auf dem Track. Die Sonne schillerte durch die hohen Beechtrees und Vogel gesang erfüllte den Wald. Der Routeburn Track ist ein Higway. Es gibt so gut wie keine Unebenheiten, man kann fast die ganze Zeit in die Luft starren, ohne sich Gedanken machen zu müssen wohin man tritt. Ein Traum für Vogelgucker: Riflemen twieteten, Bellbirds jodelten, Warblers warbelten, Tuis brabbelten, Tomtits...äh... titteten, Fantails quiekten und schlugen ihre Salti. Etwas befremdend in einem Regenwald ist allerdings immer wieder das aufgeregte Gekeife von erschreckten Amseln, die ich persönlich eher mir Parkanlagen im deutschen Flachland in Verbindung bringe. Irgendwann meckerten ein paar yellow-crowned Parakeets hoch oben im Blätterwald der Bäume. Und was für ein Wald das war: Die Bäume wuchsen ins unendliche, ihre Äste schienen sich mit denen des Nachbarbaumes zu verknoten. Die meisten dieser dicken Seitentriebe waren mit einem dichten Moosepolster ummantelt und hätten in jeder Perwollwerbung ihren Platz finden können. Der Boden war, mal abgesehen vom schiefergrauen Schotter des Tracks grün. Ein grünes flauschiges Moosbett, das feucht in der Sonne glitzerte und einem förmlich zu zurufen schien: "Leg dich auf mich, du wirst zwar klitschnaß, aber das ist es wert!" Ich tat's aber dann doch nicht.

Nach etwa anderthalb Stunden vernahm ich ein gewaltiges Donnern. Ein stetiges Donnern. Ich ahnte was do kommen mußte und sah es im nächsten Moment in einer Lücke im Walddach: die Erlington Falls. Aus einem schmalen Spalt (der wahrscheinlich an die 15 Meter breit sein muß) schoß eine gewaltige weiße Fahne schäumenden Wassers und verschwand aus meinem Blickfeld hinter den Baum wipfeln. Dieser Wasserfall war hoch, daß war man klar! Ich lief weiter, während das Dröhnen der Wassermassen immer lauter wurde. Und schlißlich stand ich vor den Fällen: 80 Meter über mir ergoßen sich Unmengen aus dem grauen Fels, knallten nicht weit von mit auf die Granitwand und sammelten sich in einem schäumenden Becken. Der Wind trieb mir Gishct um die Ohren, so daß ich binnen Sekunden wieder pladdernaß war - und das wo gerade meine feuchten Klamotten von der Sonne getrocknet worden waren... Das war mir sowas von egal! Ich war total hin und weg und konnte immer nur "Wow!" rufen, während ich mir meinen Weg über die Felsen am Grunde des Wasserfalls bahnte.
Nicht lange nachdem ich den Wasserfall hinter mit gelassen hatte, kam der nächste Hammer. Ein alter Erdrutsch hatte den Wald über eine Breite von vielleicht 150 Metern abrasiert und die Pionierpflanzen reichten gerademal bis zu meiner Hüfte. Mit einem Mal öffnete sich mir der Blick auf das Panorama des oberen Hollyford Valleys.


Das Panorama des Upper Hollyford Valleys

Die alpine Kulisse fegte mich, noch aufgekratzt von dem Wasserfall, fast aus den Socken. Erst jetzt fiel mir auf, daß ich obe´wohl schon anderthal Stunden unterwegs meinen Rucksack kaum spürte - normalerweise fangen nach einer Stunde meine Schultern an zu singen. Nicht so hier: ob es war, weil ich mir die Lebensmittel mit Valeria teilte oder einfach die Begeisterung war wieder "draußen" zu sein... ich weiß es nicht.
Ich setzte meinen Weg fort ind gelangte bald an eine weiter Lichte Stelle: dieser Abschnitt wurde sogar ausgeschildert und als "The Orchard" bezeichnet. Viele niedrige Moosüberwucherte Bäumchen standen hier in lockeren Formationen wie in einem Obstgarten.


Auf dem Weg durch den "Orchard" (obwohl die "Obstbäume" auf dem Bild nur am rechten Bildrand zu sehen sind)

Etwas über zwei Stunden nachdem ich die Howden Hut verlassen hatte, sah ich Valeria vor mir auf dem Track und kurz vor 12 Uhr mittags hatten wir die McKenzie Hut erreicht. Die Hütte liegt direkt am Lake McKenzie, einem Moränensee, der von den Gletschern des Emily Peaks gespeist wird und die meiste Zeit des Tages im Schatten der Berge liegt. Ein Teil des Sees war mit einer dünnen Eisschicht überzogen - eine Erinnerung, daß es Winter war. Das Wetter wollte einem etwas anderes weismachen: es war ziemlich warm. Valeria und ich beratschlagten, sollten wir es versuchen noch bis zu den Routeburn Falls zu laufen und die nächste in der Hütte dort verbringen? Ob es gehen würde, den Harris Saddle ohne Eisaxt und Steigeisen zu queren? Oder würde dort zuviel Schnee liegen?

Das Wetter war so aufmunternd und es war nich relativ früh, also entschlossden wir uns es mal zu versuchen. Also gingen wir los. Dummerweise war der Lake McKenzie ein wenig über die Ufer getreten und hatte dabei auch einen Teil des Routeburn Tracks verschluckt. Wir mußte also gut fünfzig Meter durch (so schien es) Wadentiefes Wasser. Tapfer stiegen wir aus unseren warmen Stiefeln und stapften in das glasklare Wasser.
Nun, das Wasser war nicht nur glasklar sondern auch eiskalt und letzters im warsten Sinne des Wortes. Ich vesuchte mir einzureden, daß dies gesund wäre und präventiv gegen Krampfadern prima wäre, doch die Kälterezeptoren meiner untern Körperregion jodelten im Chor "Kneipp hatte nen Knall!". Ich ging voraus und versank immer tiefer in den Fluten - von wegen Wadentief. Ich hörte Valeria hinter mit keuchen und verkniff mir den Kommentar bezüglich der Wassertiefe und beeilte mich wieder trockenen Grund zu finden, nur raus aus diesem Eisbad!

Nachdem wir dieses Hindernis überwunden hatten stieg der Track steil im ZickZack am Berg hinauf und passierte bald die Baumgrenze. Der Blick ins Tal zurück, über den Lake McKenzie hinweg war schon wieder ein Traum. Steil und bizarr erhob sich der Emily Peak im Nordosten am Ende des Gletsschertales; eine fast unwirkliche Eishaube wölbte sich über den Gipfen des Berges in das Tal hinein; unzählige kleine Wasserläufe vereinigte sich am Fuße des Tales und floßen als Rinnsale in den Lake McKenzie, in desen Mitte eine dichte Waldinsel ruhte. Weit unten zog ein paar Paradies Enten ihre Bahnen auf dem dunklen Gewässer und am Südende des Sees, am Rand des Waldes war die McKenzie Hut zu sehen, die noch immer in der Mittagssonne lag. Wenn es nicht so richtig laufen würde, könnten wir uns auf eine Nacht in dieser Hütte freuen. Und so sollte es dann auch kommen...
B
evor wir den Bergsaum erreicht hatten trafen wir auf kleinere Schneefelder, die nicht wild aussahen, aber angetaut und dann wieder überfroren waren, so daß sie einer Eisbahn glichen. Über diese Felder zu eiern an einem Steilhang, kann den Adrenalinpegel schon in die Höhe treiben. Tortzdem kämpften wir uns bis auf den nördlichen Talsaum hinaus, so daß wir wieder in die Sonne gerieten und einen schier endlosen Blick über das untere Hollyford Valley hatten. Wir konnten sogar die Martinsbay und die Tasmanische See in weiter ferne schimmern sehen.


Das Lower Hollyford Valley mit der Martins Bay in weiter Ferne

Obwohl wir den gesamten Routeburn Track bis zum Harris Saddle oberhalb der Baumgrenze aus Streifen erkennen konnten, entschlossen wir uns zurück zu gehen. Denn wir wußten nicht, was uns auf der anderen Seite des Harris Saddles erwartete und wenn wir erst bis dorthin gelaufen wären, um dort festzustellen, daß wir überfrorene Schneefelder vor uns habe, wäre es zu spät umzukehren. Also blieben wir einige Zeit auf dem Saum, blickten auf das Panorama und ließen uns von der Sonne wärmen. Doch dann machten wir uns auf den Rückweg. Ich lief voraus und als ich meinen Mut zusammennahm um mich ohne Jammern der Seequerung zu stellen, entdeckte ich ein Schild mit der Aufschrift "Flood Route". Ich konnte es nicht fassen! Es gab tatsächlich eine Umgehungsroute, so daß man bei Hochwasser nicht durch den Eissee waten muß! Und auf der anderen Seite gab es keinen Hinweis... Ich kraxelte zehn Minuten über diesen etwas wilden Umweg und kam schließlich trockenen Fußes an der McKenzie Hut an. Valeria entschied sich anders. Tapfer stieg sie ein zweites Mal aus den Stiefeln und watete durch das eisige Wasser. Doch das hatte seinen Preis, denn mittlwerweile war die Sonne hinter den Bergen verschwunden. Und deswegen war es auch merklich kühler. Mit nahezu schmerzverzerrtem Gesicht stapfte Valeria heran und taumelte stöhnend in die Hütte. Ihr sollte den ganzen Abend nicht mehr richtig warm werden.
Was sicherlich auch daran lag, daß die Hütte kein Stück warm wurde, obwohl der Ofen, den wir mit Kohlen heizten, brummte. Die Hütte war einfach zu groß. Insgesamt 48 Leute kamen hier in der Hauptsaison unter und dementsprechend groß war der Wohnraum und Küche. In diesem "open space" sah der Ofen richtig verloren aus. Wir kauerten den ganzen Abend vor dem Ofen, während draußen der See wahrscheinlich einige weitere Meter mehr zufror. Auf unserer Veranda spazierte ein mollig eingepelztes Possum durch den Frost...

Auch der nächste Tag war wieder wolkenlos und wir entschlossen uns direkt in einem durch bis zur Divide zurück zu laufen - nur keine weitere Nacht in der usseligen Howden Hut. Obwohl der Track der gleiche war, kann ich nicht sagen, daß ich merkte, daß ich hier am Vortag schon langgstiefelt war: ich war ein weiteres mal begeistert vob der alpinen Szenerie, den unzähligen Bächen, die in Kaskaden über die Felsen sprangen oder unter den Farnteppichen hervorrauschten. Die Erlington Falls waren aber erheblich zahmer als am Vortag. Die Gischt war so harmlos, daß ich es sogar wagte meine Fotoausrüstung aufzubauen und zu fotografieren. Die Howden Hut würdigten wir keines Blickes mehr und waren nach vier Stunden Marsch bereits wieder an der Divide und am Wagen; in diesen vier Stunden gingen wir eine Distanz, die man auf anderen Tracks in zwei Tagen laufen würde. Der Routeburn ist halt ein echter "Highway". Aber unglaublich schön.
Aber so ganz war unser Abenteuer noch nicht vorbei. Denn dummerweise hatten wir vergessen in Te Anau zu tanken. Hier an der Divide trennten uns gut 100 Km von der nächsten Tankstelle in Te Anau. Blieb also nur eine Möglichkeit: der Milford Sound - hier gab es sicherlich eine Tankstelle. Also fuhren wir von der Divide aus ersteinmal tiefer in die Berge hinein. Die Straße kletterte hinauf zum Homertunnel, den ich nun schon zum vierten Mal durchfuhr - und der mich immer noch vom Hocker reißt! Ein schnurgerader Tunnel, ohne Beleuchtung: man wird von der Dunkelheit des Berges verschluckt und steuert dann auf einen winzigen schimmernden Flech zu, dem Tunnelausgang. Und dann auf der anderen Seite die schieren, steilen Granitwände des Cleddau Valleys, geformt von mächtigen Gletschern, bedeckt von unzähligen Wasserfällen und überragt bei mächtigen eis- und schneebedeckten Berggipfeln.
Der Sprit reichte bis Milford und eine Möglichkeit zu tanken gab es auch, wenn auch zu horrendem Preis. Wir sahen uns den Milford Sound an, bestaunten die Busladungen mit Japanern und spazierten bis zu den donnernden Bowen Falls, die dank des Regens der letzten Wochen ein imposantes Schauspiel boten. Doch dann stiegen wir in den Wagen und machten uns auf den Heimweg...