Das Tagebuch eines Forschungsprojektes
 
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KÜKEN-STATUS
Motuara Island
Nester: 67
OK
Flügge
R.I.P
28
24
45
Stand: 23.11.2000

NEUIGKEITEN - 23. November 2000

Nachdem wir in der letzten Woche mehrere nächtliche Ausflüge zu Nest WG07 im West Gully unternommen haben, um Lil von ihrem Sender zu befreien - allesamt erfolglos -, änderten wir gestern unsere Taktik. Stef und ich legten uns bei Einbruch der Nacht auf die Lauer um Lil abzupassen, wenn sie vom Wasser zum Nest hinaufklettert um ihr Küken zu füttern.

Es war noch nicht richtig dunkel, als wir uns etwas unterhalb des Nests in den Hang hockten. Über uns rauschte der starker Westwind in den struppigen Manukas (Teebäume) und die ersten Wetas begannen in der dichter werdenden Dunkelheit zu zirpen. Stef und ich warteten. Ich war mit Hottes DigiCam bewaffnet, die Nachtaufnahme-Funktion ermöglichte es uns, ab und an die Gegend um das Nest abzusuchen, ohne eine Taschenlampe anzuschalten. Als die Nacht sich über Motuara Island senkte, begannen die fluttering shearwaters (kleine Sturmtaucher) lauthals lachend - genauso hört sich der Schrei dieser winzigen Seevögel an - über dem Wald zu kreisen. Das shearwater Konzert wurde mitunter so laut, daß ich befürchtete, daß wir Lil's verräterische Schritte auf dem laubbedeckten Boden überhören. Wir warteten. Die shearwaters entschieden sich letztlich doch zu landen. Und wenn ich sage "landen", so meine ich "einschlagen" im wörtlichen Sinne. Die Sturmtaucher sind begnadete Segler und Flieger so lange sie über dem Meer sind. Doch ihre Landungen auf ihren Brutinseln gleichen eher einem Kamikaze-Sturzflug: Flügel anwinkeln, Augen zu und KRACH-BAFF!

Und während wir dort vor WG07 in der Dunkelheit hockten, krach-baffte es um uns herum, daß uns Angst und Bange wurde. Doch wir hatten Glück, zwar gingen in unmittelbarer Nähe von uns diese lebendigen Vogelbomben zu Boden, doch uns trafen sie nicht. Wir warteten. Die shearwaters beruhigten sich langsam und das Küken in WG07 begann sich zu regen. Es fiepte leise vor sich hin. Hieß das, daß es einen Alten herankommen hörte? Wir lauschten gebannt in die Dunkelheit. Vereinzelt lachten noch shearwaters über unseren Köpfen, um uns herum zirpten Wetas, das Küken fiepte mal lauter mal leiser. Im Sucher der DigiCam sah ich den Kopf des Kükens in monochromen grün-schwarz aus dem Bau lugen. Von Lil war nichts zu sehen. Wir warteten.

Mir schliefen die Beine ein. Stef schlief komplett ein. Ich wagte mich kaum mich zu bewegen, zum einen weil jede Bewegung auf dem trockenen Laub eklig laut war, zum anderen, weil ich Stef nicht wecken wollte. Wir warteten/schliefen. Plötzlich - oder sollte ich sagen "irgendwann"? - raschelte es unter uns. Das Rascheln stoppte, dann setzte es wieder ein und bewegte sich langsam an uns vorbei in Richtung des Nests. Ich war mir sicher, daß gerade ein Pinguin an uns vorbeimarschierte. Ich weckte Stef und schaltete die Kamera ein. Mittlerweile hatte das Küken begonnen wild zu piepen. Ich fand in dem monochromen Bild der Kamera das Nest zuerst gar nicht. Als ich es schließlich im Sucher hatte, sah ich den Hintern des Kükens aus dem Nest ragen. Der Hintern zuckte vor und zurück - der Alte war im Nest und fütterte das Junge! Ich war mit einem Mal hellwach! Jetzt hatten wir sie! Jetzt hatten wir Lil! Plötzlich stoplerte das Küken aus dem Nest und der Altvogel kam zum Vorschein. Ich zoomte heran um mir den Pinguin genauer zu untersuchen und hätte fast aufgejodelt: kein Sender am Rücken! Es war nicht Lil, sondern ihr Partner! Verflucht!

Der Altvogel entfernte sich wieder vom Nest un verschwand aus meinem Blickfeld. Was sollten wir tun? Wir warteten weiter. Endlos lauschten wir in die Stille. Nur Weta-Gezirpe war zu hören. Kein Geraschel mehr. Irgendwann war unsere Geduld am Ende. Abbruch und Rückzug: Lil hatte uns wieder gefoppt. Wahrscheinlich war sie gar nicht auf der Insel (obwohl Hotte sich relativ sicher war, daß er sie vor dem West Gully eingepeilt hatte). Heute ist von Lil wieder einmal nichts zu hören. Wir werden nachher noch einmal nach ihr lauschen. Denn egal was kommt, wir geben nicht auf, wir werden ihr den Sender wieder abjagen. Und wenn es das letzte ist was wir tun...

Außerdem ist Kirsten heute von unserer Insel schweren Herzens abgereist. Sie will noch Bekannte in Nelson besuchen. Hier auf der Insel gibt es ja auch nichts weiter zu tun, außer Nestchecks, die wir auch gut zu dritt zu Wege bekommen.


Schweren Herzens in die Zivilisation - Kirsten auf dem Mailboot zum Festland