Das Tagebuch eines Forschungsprojektes
 
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NEUIGKEITEN - 11. September 2000

Es wird uns nicht leicht gemacht. Um ehrlich zu sein: da steckt doch System dahinter! Gerade einen Tag lang konnten wir in windigen aber aushaltbaren Verhältnissen Pinguin 484 aus Nest HG02 tracken, da ist es auch schon wieder vorbei.

Nachdem wir ja am Donnerstag vier Pinguine ausgerüstet hatten, ging am Freitag einer der Vögel auf See. Wir konnten einen guten one-day-trip aufnehmen. Das Wetter war bedeckt und windig. Aber der Wind machte es uns nicht unmöglich zu arbeiten: die vereinzelten Böen, die an unseren Antennen zerrten warteten wir ab und konnten dann den Vogel einpeilen.

Stef und ich arbeiteten auf Arapawa Island. Die Antennenposition ist einerseits perfekt geschützt vor den strengen Southerlies (Südwinde), da sich der steile Hang nach Nordwesten öffnet. Auf der anderen Seite sollten bei einer solchen Konfiguration der Norwester (Nordwestwind) ausbleiben oder nur schwach einfallen. Doch leider war dies an diesem Wochenende nicht der Fall...

Während des Peilens regnete es immer wieder, so daß Stef und ich die Regenplanen auf Peter's ansehnliches Holzgerüst spannten. Der Wind zerrte zwar an den Plastikbahnen, doch dank der Konstruktion hielten diese dagegen. Als Stef am Abend nach abgeschlossenem Peilen die Station abbaute, war es nach wie vor böig, doch die Antenne und Regenschutz sahen in Ordnung aus. Wer konnte schon ahnen, daß der Wind in der folgenden Nacht in einen brüllenden Nordwest-Sturm ausartete. Es war bereits weit nach zehn Uhr, als der Sturm so richtig loslegte: Regen prasselte wie Maschinengewehre auf Tony's Farm nieder, gewaltige Windböen ließen unsere Hütte in den Grundfesten wanken und ein ums andere Mal fürchtete ich, unser Dach würde fortgerissen. Am pechschwarzen Himmel fetzten phantomgraue Wolken nach Süden. Ein endloses Heulen lag in der East Bay. Skeptisch blickte ich durch unsere Verandatür und versuchte mir einzureden, daß sich solche Böen nur hier unten aufgrund der Kesseleigenschaft der Bucht bilden würden. Doch dran glauben konte ich nicht. In dieser Nacht, jaulte der Sturm über uns hinweg. Es war ohrenbetäubend. Stef und ich taten kaum ein Auge zu. Ich hoffte nur, daß unsere Antenne halten würde. Sie hatte ja schon einiges in Oamau mitgemacht...

Als der Wecker um 5 Uhr klingelte und Stef sich auf den Weg zu ihrer Schicht an der Antenne machen wollte, hielt ich sie zurück. Der Norwester jaulte unvermindert weiter und ich wollte nicht, daß sie in der Dunkelheit auf die Berge hinaufklettert, wenn es derart stark bläst. Sie telefonierte mit Peter, der auf Motuara Island im Gebrüll des Windes Stellung an der Antenne bezogen hatte. "Peilen erstmal abgeblasen, nächster Telefonkontakt 9 Uhr."

Kurz nach 8 Uhr machten Stef und ich uns auf den Weg zur Antenne. Der Himmel war dunkelgrau. Immer wieder prasselten Schauer mit feinem, alles durchdringenden Nieselregen auf uns nieder. Viel schlimmer war jedoch der Wind: auf den exponierten Stücken des Tracks der zum Sattel hinaufführte, war es fast unmöglich zu laufen. Die Böen wollten uns von den Beinen reißen; wir krabbelten mitunter auf allen Vieren den Berg hinauf. Die volle Kraft des Windes verspürten wir aber, als wir den Sattel erreichten: hier wurde der Wind wie in einem Trichter zu einem gewaltigen jetstream komprimiert. Wir konnten kaum atmen, stemmten uns gegen den Wind und klammerten uns am Zaun fest. Der Sturm hatte eine Stärke, die ich selten erlebt hatte: es war ein bißchen so, als wenn man bei 120 Km/h den Kopf aus einem Auto strecken würde.

Als wir uns am Gatter auf dem Sattel festklammerten, war mir klar, daß unsere Antenne dies nicht überlebt haben konnte. Wir kämpften uns über den Track zu unserer Antennenstation vor. Auf halben Wege klingelte das Telefon. Ich nahm den Anruf an, konnte aber im schreienden Sturm nichts verstehen und brüllte statt dessen in das Mikrophon: "ICH MELDE MICH GLEICH. BRAUCHEN WINDGESCHÜTZTE STELLE!!!"

Mir sträubte sich das Fell, als wir auf die kleine Ebene kamen, von der aus der kurze Trampelpfad zur Antenne führte. Ich wollte nicht zur Antenne blicken. Ich tat es aber doch und schlug mir sogleich die Hände vor's Gesicht. Oh nein!

Die Plastikplanen waren zerfetzt und flatterten wie wild im Wind. Die Abspann-Seile schlugen peitschenartig durch die Luft. Die Antenne hing schräg gegen den Hang, die beiden Antennen-Elemente waren wie eine Windmühle verdreht. Es fehlten etliche der Yagis (die senkrechten Elemente). Die Kabel schlugen durch die Luft. Es sah dramatisch aus. Wir kämpften uns zur Antenne vor. Die Plastikfetzen schlugen uns ins Gesicht. Die Seile hatten sich um die Antenne verheddert und bestanden nur noch aus dicken, unmöglichen Knoten, aus denen die peitschenden Enden ragten. Wir mußten die Antenne losbekommen. Ich stellte zu allem Übel fest, daß ich mein Taschenmesser vergessen hatte. Wir konnten die Seile also nicht kappen. Ich versuchte verzweifelt die Plane zu zerreissen. Doch das hatte nur der Wind geschafft. Ich zerrte wie wild an den Fetzen und plötzlich flog mir ein Hering entgegen und traf mich am Arm. Stef schrie, wir sollten die Antenne einfach umlegen und aus dem Chaos herausziehen. So bekamen wir die Antenne tatsächlich frei. Wir schleppten die zerschepperte Antenne auf die Südseite des Berges, in den Windschatten. Ich mußte mich erst einmal setzen.

"Das gibt's doch nicht! Warum denn nur? Was kann denn noch alles schief gehen? Verflucht nochmal: erst der Scheißsturm in Oamaru, dann die ganzen Pannen mit dem Kabelzeugs und den Sendern, dann diese Pleiten mit dem Boot und den Probepeilungen und als Krönung: DAS!!!"

Mir war echt zum Heulen zumute. Es half nichts. Stef und ich suchten im Sturm die fehlenden Yagis zusammen: nur zwei waren zerbrochen. Wie durch ein Wunder fanden wir auch alle Schrauben wieder. Wir lösten die zerfetzten Planen und stopften sie mitsamt dem Geknäuel aus Seilen in die Büsche. Ich telefonierte mit Jana. In meinem Wirrkopf vereinbarte ich zwei neue Termine für Telefonkontakt: heute abend um sieben auf Tony's Leitung und morgen um 15 Uhr auf dem Cellphone. Kurz nachdem ich das Handy ausgeschaltet hatte, fragte ich mich: "Was hast du da gesagt? Wie kommst du denn auf 15 Uhr?"

Nun, Tony's Telefonleitung war tot. Da ich aber unbedingt einen Telefonkontakt mit Motuara Island für den nächsten Vormittag vereinbaren wollte (denn ich konnte die Antenne reparieren, weil ich in weiser Voraussicht Ersatz-Yagis auf Arapawa deponiert hatte), blieb mir nichts anderes übrig, als um 19.30 Uhr mit der Taschenlampe durch den Sturm auf den Berg zu klettern - auf Tony's Farm gibt es keinen Cellphone-Empfang...

Es war, als wollte mich der Berg mit allen Mitteln loswerden. Die Böen waren stärker als am Vormittag und die Dunkelheit machte meinen Aufstieg über den aufgeweichten und glitschigen Track auch nicht weiter. Und natürlich, als ich Empfang hatte, war nichts zu verstehen... Alles umsonst!

Am nächsten morgen dröhnte der Sturm zwar schwächer, aber immer noch zu stark aus Nordwesten. Gegen 11 Uhr kündigte sich dann der Wetterumschwung an - der Wind drehte nach Süden. Wir konnten die Antenne wieder zusammenbauen und aufrichten. Oben konnte ich auch Peter auf Motuara Island erreichen. Er und Jana waren sein 11 Uhr wieder am peilen: 484 war wieder auf dem Wasser. Ab 13.30 Uhr konnten wir auch wieder unsere Arbeit aufnehmen.

Heute hat der southerly voll eingeschlagen: blauer Himmel und bis zum Ende meiner zweiten Schicht prallte der Wind im Süden von den Bergen ab, so daß unsere Antennenposition wenig davin mitbekommt. Auf der Cook Strait bläst es jedoch gewaltig. Hoffentlich dreht das nicht wieder auf Nordwesten...

In jedem Fall konnten wir heute bei Sonnenschein 484 auf einem weiteren Tagestrip verfolgen (bzw. Stef sitzt im Moment noch oben und peilt noch). Und ich war sogar mal wieder in der Laune Fotos zu machen:


"Frühschicht sucks" - morgens halb sieben in Neuseeland


Herman - unser Maskottchen an der Arapawa Antenne


Der "prodscheckt lieder" bei seiner Mittagsschicht (12 - 15 Uhr)