Das Tagebuch eines Forschungsprojektes
 
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KÜKEN-STATUS
Motuara Island
Nester: 64
OK
Flügge
R.I.P
34
16
43
Stand: 18.11.2000
NEUIGKEITEN - 18. November 2000

So etwas! Da steht man Nachts um eins auf, klettert verpennt und grummelig in die stinkenden Klamottten, klettert mit jagendem Puls durch den Busch, schleicht sich behende an ein Nest an - bloß um kräftig veräppelt zu werden.

Lil, unser Pinguinweibchen aus dem West Gully, hat es verstanden uns gehörig an der Nase herumzuführen. Wir wollten letzte Nacht unseren Sender von ihr entfernen, nachdem sie diesen Zusatzpack fast 2 Wochen mit sich herumgeschleppt hat. Anscheinend gefällt ihr der Sender-Rucksack, denn wir konnten sie nicht fangen.

Es war kurz nach 1 Uhr Nachts, als Hotte und ich auf den Observation Tower kletterten und die Peilanlage in Gang brachten. Wir wollten uns erst versichern, daß Lil auch wirklich an Land gekommen war, bevor wir uns auf den langen, nassen Weg über den Ridge-Track zum West Gullly machten. Und wie erwartet, hörten wir ein konstantes Piepen aus der Richtung des West Gullys. Also machten wir und auf den Weg zu WG07, Lil's Nest.

Wenn ich oben von einem "langen, nassen Weg" spreche, so will ich damit nicht sagen, daß es regnete. Nein, viel schlimmer. Motuara Island ist von einem jungen Wald (ca. 80 Jahre alt - vorher war die Insel Weideland: 200 Schafe stromerten zwischen Baumstümpfen umher) bedeckt. Dieser junge Wald ist erstens ziemlich dicht und zweitens ziemlich niedrig. Das heißt, man läuft meist mitten durch das Blattwerk hindurch. Und dieses war nach dem Regen des letzten Tages pladdernaß. Natürlich kommt einem der Weg in der Dunkelheit länger vor als er tatsächlich ist und das durchnässende Buschgetrampel schwächt diese Empfindung nicht unbedingt ab. Ich war nur heilfroh, daß Hotte die Führung übernahm, so daß er die Hauptnässe schon von den Blättern fegte.

Nach einem endlosen Marsch, bei dem uns ein junger Kiwi vor die Füße sprang (von dem Hotte, unlesebebrillt, zunächst annahm, daß es sich um eine Ratte handelte) und ein Pinguin fast unter den Stiefel des Kanutrainers geriet, bogen wir schließlich nach Westen ins West Gully ab. Wir bahnten uns mühselig einen Weg entlang des spärlich markierten Trampelpfades nach unten, bis wir endlich in der Nähe von WG07, Lil's Nest, ankamen. Ich schlich voraus, Hotte sollte warten, bis ich ihm ein Zeichen gab, wenn ich den Pinguin gefangen hatte.

So leise wie möglich näherte ich mich von unten dem Nest. Vorsichtig leuchtete ich zum Nest hinauf; falls der Vogel davor hockte und zu flüchten gedachte, würde er mir in die Arme laufen. Doch dort saß kein blauer Pinguin. Ha, dachte ich, sie sitzt im Nest, super! Ich kletterte zum Nest hinauf und versuchte einen Blick von Lil und dem Küken zu erhaschen, doch WG07 ist nicht einzusehen, so daß man stets fühlen muß. Ich kramte meinen Lederhandschuh hervor und langte in die Höhle. Sofort begann ein Pinguin an meinen Fingern zu nibbeln - und das machte mich stutzig. Wäre Lil zu Hause, würde man schwer von "nibbeln" sprechen können, denn die ausgewachsenen Pinguine haben einen ziemlich gemeinen Biß am Leibe. Ich zog die Hand zurück und entledigte mich des Handschuhs und dreißig Sekunden später war klar, dort war nur das Küken, daß an meinen Fingern kaute: Lil war nicht im Nest! Mist!!!

Plötzlich hörte ich etwas unterhalb von mir ein Rascheln. Schnell löschte ich meine Stirnlampe und kletterte auf die Steine oberhalb des Nestes. Ich machte keinen Mucks und lauschte. Stille zunächst, dann wieder ein Rascheln, das näher kam. Dort kletterte eindeutig ein Pinguin zu WG07 hinauf. War das Lil? Ich wagte nicht meine Lampe anzuschalten, das hätte sie vielleicht verjagt. Deswegen rührte ich mich nicht und lauschte weiter ins Stockdunkel. Das Rascheln war jetzt unmittelbar vor dem Nest. Ich hörte ein leises Schneuzen, ein Geräusch, das die Pinguine von sich geben, wenn sie ihre Nasenlöcher vom Sekret ihrer Salzdrüsen freiblasen. Ich wartete. Ich hörte ein kratzendes und schabendes Geräusch - der Pinguin kletterte ins Nest und damit in die Falle. Ich grinste, jetzt hatten wir sie. Aus dem Nest war sofort begeistertes Gefiepe des Kükens zu hören und kurz meldete sich auch der adulte Pinguin mit einem Grunzen. Ich wartete weiter, sollte Lil doch erst ihr Küken füttern. Das Küken fiepte lauter und lauter und ich bekam das Gefühl, daß der kleine Stinker (genau das ist die richtige Bezeichnung für Pinguinküken!) aus dem Bau herauskam. Vorsichtig schaltete ich meine Lampe an. Vor dem Bau war nichts zu sehen. Ich kletterte vom Stein und zog meinen Handschuh an. An die Arbeit.

Behende griff ich in den Bau. Das Küken nibbelte sofort wieder an meinem Finger herum. Ich tastete weiter und... stieß gegen die hintere Wand des Baus. Lil war nicht drin! Ungläubig versuchte ich in den Bau zu lugen, doch es war nichts zu sehen. Ich versuchte es nochmal unbehandschuht, doch es half nichts: außer dem Küken, war niemand in dem Nest. Fluchend begann ich die Felsen um das Nest herum abzusuchen. Mittlerweile kam Hotte herangekracht. Von dem Pinguin - den ich eindeutig gehört hatte! - war keine Spur zu finden. Ich war doch nicht verrückt! Wir suchten die nähere Umgebung des Baus ab. Nichts. Wir lauschten auf das Rascheln eines flüchtenden Pinguins. Nichts. Wir suchten weiter und fanden... NICHTS! Es war schon fast gespenstisch: da war ein Pinguin gekommen und dann - Puff! - wie vom Erdboden verschluckt. Was hätte ich in diesem Moment für ein Nachtsichtgerät gegeben.

Wir warteten dann noch eine gute Viertelstunde in der Dunkelheit, doch es war nichts zu hören, außer dem hohen Gelache der fluttering shearwaters (Kleine Sturmtaucher), die vor der Insel kreisten. Lil hatte uns ausgetrickst. Uns blieb nichts anderes übrig, als unverichteter Dinge wieder den Heimweg anzutreten. Ich war ziemlich frustriert und zweifelte an meiner eigenen Wahrnehmung: dieses Verschwinden des klar vernommenen Pinguins war gespenstisch.

Damit haben wir den Sender also doch nicht wider bekommen. Die ganze Aktion war also ein weiterer Schlag ins Wasser. Oder, um es mit Hottes Worten auszudrücken: "Außer Spesen, nix gewesen."