Das Tagebuch eines Forschungsprojektes
 
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NEUIGKEITEN - 21. Juli 2001

Mein letzter Tag auf Arapawa Island. Die ganze letzte Nacht hat es wieder aus vollen Kübeln geschüttet. In den frühen Morgen Stunden hat der Wind aus Süden aufgefrischt und ist am Morgen schon Nahe an einer Stärke die ich vorsichtig als "Sturm" bezeichnen würde. Böen blasen williwar's (Windhosen) über die East Bay. Und immer wieder beginnt es zu schütten. Das gute an dem Regen, ist daß wir seit gestern den Wassergenerator zur Verfügung haben; nach dem langen trockenen Sommer und Herbst ist endlich wieder genug Dampf auf dem Creek. So sitzen Tony und ich mit brennender Lampe und dudelndem Radio ("This is National Radio weather: Chatham Islands, showers with fine periods") und trinken Tee.

Ich horche auf. Aha, wieder Schauer auf den Chathams. Für einen Meteorologen muß die Wettervorhersage für die Chathams eine wahre Herausforderung sein... zwar ist das Wetter immer das gleiche (Schauer, Schauer, Schauer), aber wie bringt man das abwechslungsreich über den Äther ohne sich jeden Tag zu wiederholen. Moment, was war's gestern? Ach ja, "Regen mit trockenen Phasen". Und der Tag davor? Hmmm, "Vereinzelt Regen". Und davor war's "Trocken mit gelegentlichen Regenfällen." Wie heute. Forget Kachelmann!

Draußen fegen Böen Salzgischt gegen Tony's (relativ) neue Fensterfront... die gleiche Fensterfront, die ich mit ihm vor einem guten halben Jahr ein paar Buchten weiter in die Tonee Marie geladen habe, die ich mit ihm über den Strand geschleppt habe und unter der Tony seine Hand einklemmte, als wir mit dem schweren Teil auf die Schnauze fielen (das Ding blieb seltsamerweise intakt).


Die Tonee Marie in der steifen Brise aus Süd

Ich beginne meine Sachen zusammen zu packen. Ken und das Mailboot sind so gegen zwei oder halb drei hier. Es ist kurz nach zwölf. Ich steige in meine miefigen Klamotten (nach nur zwei Tagen, schon ist alles feucht und von den verrückten Hunden vollgesabbert) und marschiere in Richtung Schafsweide, wo die Hunde im Sturm hocken und auf Knochen herumkauen oder zusammengerollt im Gras dösen. Jack sieht mich als erster und - Wamm! - ist er hoch und hat mich fast über den Haufen gerannt. Doug kommt unsicher hinterher getrollt. Ted springt auf und kommt Schwanzwedelnd angewetzt. Bess trottet langsam heran. Zu fünft klettern wir auf den Hügel auf dem Weg zu Walter's Place, der Wellblechhütte 500 Meter weiter entlang der Eastbay. Walter und Mary, die beiden alten Maori, die man kaum versteht...


Blick nach Osten: Walter's Place

Kaum stehen geblieben, wurschtelt sich Jack wieder von hinten zwischen meine Beine. Wieder dieser Blick nach oben. Und erst, wenn er sieht, daß ich mir den Blick lang genug angesehen habe, gibt Jack (für kurze Zeit) ruhe, packt die Vorderpfoten auf einen meiner Füße (um mich am Weggehen zu hindern, nehme ich an) und blickt auf die Szenerie um uns herum.


Blick zwischen meine Beine: wiedermal "Jack Attack" von hinten und unten

 

Die Hunde freuen sich. Tony ist im woodshed und zerbröselt Baumstämme mit seiner Motorsäge zu Brennholz. Das Wetter ist zu feucht, als daß er an seinen Zäunen zu basteln könnte. Die Schafe fressen die Hügel kahl und warten auf das lambing... doch es sind noch 2 bis 3 Wochen, bis die ersten Lämmer zu erwarten sind. Ich sehe mir den Pulk Hunde an und denke über Tony's Farm nach. In den letzten Tagen hat er immer wieder über einen Verkauf an einen Amerikaner nach gedacht. Der Ami hat ihm 1.3 Millionen Neuseeland Dollar angeboten. Doch Tony will mindesten 1.55. Er will sich nicht von dem Ami weichkochen lassen, sagt er. Ich habe aber eher das Gefühl, daß er (noch) nicht weg will. Die Farm ist noch nicht soweit und würde er jetzt gehen, hätte er das Gefühl von "unfinished business". Wenn er verkauft, kann es sein, daß er schon im September weg ist von Arapawa Island. Ich schüttele den Kopf. Wie schnell doch alles gehen kann.

Jack, Ted, Doug und Bess würden hier bleiben. Im Moment turnen die Bellos auf der Weide herum. Doug nervt Ted - er beißt ihm immer in die Lefzen. Bess hockt neben mir im Gras und kuckt sich die junge Bande an und sinniert vermutlich über Zeiten, in denen sie den Kids noch was vorgeturnt hat. Über der East Bay geht schon wieder ein fetter Schauer nieder (Chatham's Ahoi!) und wir sehen zu, daß wir Land gewinnen. Am Gartentor sage ich "see ya" zu den Hunden. Ted und Jack blicken mich an, als wüßten sie, daß wir uns nicht mehr wiedersehen würden...


Und nochmal: die Tonee Marie tanzt um ihre Verankerung

Der Wind frischt auf und Ken kommt und kommt nicht. Es ist viertel vor drei. Tony meint, daß "good ol' Ken" sicherlich Probleme hat die Post zu verteilen. In den Verhältnissen mit dem schwerfälligen Postboot an zum Teil extrem exponierten Stegen anzulegen, ist kein Kinderspiel. Kurz vor drei und mit einer halben Stunde Verspätung kommt Ken dann doch. Tony steht in seinen leuchtend gelben Ölmantel gehüllt neben mir auf dem Steg. Ken rollt heran. Er kurbelt wie wild am Steuer. Anlegen kann er nicht, signalisiert er. Ich soll auf den Bug springen. Oh je, nur nicht in den Bach fallen; ich habe meinen Computer und meine ganze Arbeit im Rucksack auf dem Rücken. Ich verabschiede mich rasch von Tony. Er klopft mir auf die Schulter und sagt "See you next time". Oh, hoffentlich...

Ich springe und lande schwankend auf dem Bug der Tiri Cat. Ich lasse mich nach vorne fallen und greife nach den Scheibenwischern. Ich höre Tony hinter mir "Watch out and take care!" rufen und klettere seitlich durch's Fenster in das schwankende Boot. Kaum habe ich meine Klamotten abgelegt und Ken begrüßt, mache ich mich auf den Weg zum Sonnendeck. Ken wendet und gibt Gas, das Mailboot prescht in den Wind. Ich klettere die Treppe zum Sonnendeck hinauf und sehe zur Onauku Station hinüber. Tony steht noch immer auf dem Steg und winkt. Ich fuchtele mit meinen Armen zurück. See you, Tony...


Abschied von Tony, ein winkender gelber Punkt auf dem Steg...


... der kleiner und kleiner wird...


... bis er ganz verschwunden ist.

Bald ist die Onauku Station außer Sicht und die Tiri Cat bahnt sich ihren Weg stampfend aus der East Bay und nimmt Kurs auf Ship Cove. Bald kommen die Wellen von Süden seitlich auf das Mailboot. Das Boot stampft und rollt. Es ist eine wahre Achterbahnfahrt. Ich habe den Fehler gemacht, auf dem Sonnendeck zu stehen. Die Wellen Krachen in die Backbordseite des Boots und klatschen über die Rehling. Ich ziehe mich lieber ins Boot zurück.


Überfahrt zur Ship Cove: eine Achterbahnfahrt ist nix dagegen

Wir umrunden Long Island und da ist sie, unsere Pinguin Insel. 500 Meter auf Steuerbord zieht Motuara Island an uns vorüber. Fast drei Monate haben wir auf dieser Insel verbracht. Der Anblick dieses Flecken Erdes hat irgendwie etwas vertrautes. Und jetzt, nur 500m vom Jetty entfernt frage ich mich, ob einer von uns jemals wieder einen Fuß auf die Insel setzen wird. Hm. Warten wir's ab.


Motuara und Hippa Island ein letztes Mal aus der Nähe betrachtet

Später, in der Resolution Bay, stoppt Ken plötzlich die Maschine. Um die Tiri Cat tummeln sich 20 oder 30 große Tümmler. Die Delfine springen aus dem Wasser oder tauchen unter dem Boot hindurch. Ich blicke ins Wasser und bin überrascht, wie groß diese Tiere doch sind. Nicht weit von dem Flecken wo ich über die Heckrehling lehne, taucht ein großer Bursche auf und bläst laut - und mir eine Dampfwolke um die Ohren.

2 Stunden später springe ich von der Tiri Cat auf's Festland. Ken wünscht mir alles gute und sagt "See you next time round". Wie schon gesagt, warten wir's ab... Die Sonne ist schon hinter den Bergen verschwunden. Die Nacht zieht herein, während ich im Wagen in Richtung Blenheim rolle. Noch einmal den Tank aufgefüllt und dann in Richtung Kaikoura auf dem Coastal Highway entlang der sturmgepeitschten Küste. In tintenschwarzer Nacht gleicht der Highway einem uralten Computerspiel, daß ich anno dazumal auf einem meiner ersten Brotkisten gespielt habe. "Nightdrive", weiße Striche rechts und links als Fahrbahnbegrenzung und breite Striche in der Mitte als Mittelspreichen. Ab und an blenden weiße Scheinwerfer von vorne. Hinter Kaikoura wird's richtig fies. Die Brecher haben die Fahrbahn überspült und Steine, Kelp und was-weiß-ich-alles auf die Fahrbahn geschleudert. BRRRT!!! Schäse, wieder nicht aufgepaßt und mit mehr als 80 Sachen durch diesen Käse gebrettert! Und da schon wieder. Ein Glück, daß Ebbe ist, sonst könnte es sein, daß diese Wellen mich mitsamt Wagen ins Meer spülen. Noch 4 Stunden bis Oamaru. Ich Christchurch mache ich Pause...